Auf die Digitalisierung des Einzelhandels folgt nun die künstliche Intelligenz: KI-Systeme sind auch im Einzelhandel auf dem Vormarsch, Roboter, smarte Spiegel, kassenlose Läden und Social Commerce sind Megatrends. KI-Algorithmen individualisieren die Produktpalette, optimieren das Einkaufserlebnis im Geschäft, verbessern die Verfügbarkeit von Waren, steuern Werbekampagnen und erstellen Prognosen über künftige Marktentwicklungen.
Künstliche Intelligenz im Einzelhandel ist unsichtbar aber schon allgegenwärtig.
Inhaltsverzeichnis
- Sortimentsgestaltung mit künstlicher Intelligenz
- KI-gestütztes Bestandsmanagement
- Dynamische Preisoptimierung
- Anwendungen von künstlicher Intelligenz im Einzelhandel
- Interaktiver Spiegel und digitale Umkleidekabine
- Der OTTO Fit Finder als nachhaltige Leuchtturmanwendung
- Hemmschuh für die KI ist die Datenschutz-Grundverordnung
Die künstliche Intelligenz (KI oder engl. AI) ist ein Teilgebiet der Informatik das versucht, intelligente Leistungen und intelligentes Verhalten von Menschen am Computer nachzubilden. Zentrales Konzept ist das maschinelle Lernen, das dem menschlichen Lernen nachempfunden ist, auf dem Computer aber vervielfacht werden kann. Ziel ist immer wieder das Erkennen von Mustern und Strukturen, die es ermöglichen, verschiedene Aufgaben zu lösen und dann gezielt zu automatisieren. Die KI im Einzelhandel optimiert sämtliche Routineprozesse und schafft eine ganz neue Qualität, mit der stationäre Händler nun endlich zum Angriff auf den Online Handel blasen können. In Verbindung mit den heute verfügbaren, großen Datenmengen (genannt Big Data) bieten sich dem Einzelhandel ungeahnte Möglichkeiten, auf Wünsche und Bedürfnisse der Kunden ganz genau einzugehen.
Wir kennen es aus den Nachrichten: ChatGPT besteht das bayerische Abitur in Deutsch und Mathematik, sogar ein juristisches Staatsexamen mit Auszeichnung, schreibt Vorträge, Seminararbeiten und und ganze Bücher in Windeseile und in bestechender Qualität. Anwendungen der künstlichen Intelligenz überrollen uns förmlich, einige sprechen davon, dass die gesellschaftlichen Auswirkungen der KI eine Dimension annehmen, die mit den Veränderungen der industriellen Revolution vergleichbar sind. Das Internet und das Smartphone haben unsere Gesellschaft in den letzten 20 Jahren stark beeinflusst, der künstlichen Intelligenz sagt man heute bereits ein größeres Veränderungspotential voraus.
Dabei sind KI Systeme gar nicht mal so neu, wir alle nutzen sie seit Jahren mehr oder weniger bewusst: Die Suchmaschine Google bedient sich seit Jahren dieser Technologie, um uns die besten Suchergebnisse aus Millionen von Möglichkeiten auf der ersten Suchergebnisseite zu präsentieren. Große Onlinehändler machen beim Shopping laufend Vorschläge für neue Produkte, die auf der Analyse von vielen Daten von uns und anderen Kunden beruhen. Das nächste Video bei YouTube, der Newsfeed bei Facebook und immer neue Playlists bei Spotify – in den großen Online Plattformen sind sogenannte Recommendation Engines schon seit vielen Jahren gang und gäbe, hier geht ohne KI schon lange nichts mehr!
Im Einzelhandel verspricht die Künstliche Intelligenz als Megatrend einmal flexible und personalisierte Einkaufserlebnisse und auf der anderen Seite optimierte Prozesse und Entscheidungen. Große Datenmengen (Big Data) bieten jetzt auch dem stationären Handel ungeahnte Möglichkeiten. Eine Online-Studie zum Thema „Künstliche Intelligenz im Handel 2023“ vom Handelsverband Deutschland (HDE) und der Universität Münster durchgeführt kommt zu dem Ergebnis, dass etwa ein Drittel der Handelsunternehmen KI-Projekten bereits einen mittleren Stellenwert zuschreiben. Aktuell im Einsatz sind hauptsächlich ki-basierte Kamerasysteme zum Diebstahlschutz am POS und Tools zur Bearbeitung von Belegen in der Buchhaltung. Die meisten KI-Projekte der befragten Handelsunternehmen befinden sich laut der Studie aber noch im Planungsstadium. Rund zwei Drittel der Unternehmen nutzen bei der Umsetzung von KI-Projekten eine Software-Standardlösung, nur wenige setzen auf die Entwicklung eigener Lösungen oder Individualsoftware.
Eine Studie von OpenAI listet eine Reihe von Jobs, die durch KI akut gefährdetet sind: Mathematiker, Steuerfachangestellte, Schriftsteller und Autoren, Webdesigner, Auditoren, Datenmanager oder auch Analysten werden genannt. All diese Berufe haben viel mit Daten zu tun und heutige KI Systeme können diese massenhaft und mit hoher Geschwindigkeit verarbeiten. Das Interessante daran ist: Nicht nur Routinetätigkeiten wie Datenanalyse und Analyse von Bildern sind betroffen, sondern auch kreative Jobs sind jetzt in Gefahr: ChatGPT verfasst Gedichte und schreibt Werbetexte von überzeugender Qualität. Übersetzer und Dolmetscher aus und in alle möglichen Sprachen waren in exportorientierten Branchen gefragte Spezialisten – heute sehen wir es den Texten gar nicht mehr an, ob ein Mensch oder eine Maschine die Übersetzung erstellt hat. Sind Programmierer, Juristen und Ärzte die Arbeitslosen der Zukunft? Die Forschungsabteilung der Investmentbank Goldman Sachs spricht in einer Studie von „erheblichen Störungen auf dem Arbeitsmarkt“ und einem möglichen Verlust von hunderten Millionen Vollzeitarbeitsplätzen. Die gute Nachricht: Einzelhändler sind nicht betroffen, unsere Jobs sind sicher! Allerdings verändert sich unsere Arbeit im Einzelhandel sehr stark, hauptsächlich in diesen vier Bereichen:
– KI unterstützt die Sortimentsgestaltung
– KI optimiert die Organisation des Bestands
– KI findet die optimalen Verkaufspreise
– KI hilft bei Gestaltung und Ausspielung von Werbung
Sortimentsgestaltung mit künstlicher Intelligenz
Wer als Einzelhändler konkurrenzfähig und erfolgreich bleiben will, muss das richtige Sortiment zum passenden Zeitpunkt in angemessener Menge und zu einem attraktiven Preis anbieten können. Was erfahrene Händler früher mit Erfahrung und Intuition einigermaßen gut hinbekommen haben, können Computersysteme mit KI-Verfahren heute weitaus besser bewerkstelligen. Mustererkennung aus dem Kaufverhalten der Kundschaft funktioniert umso besser, je mehr Daten vorliegen. Angereichert werden diese Daten durch externe Einflüsse wie Trends und Events, selbst das Wetter kann einer erheblichen Einfluss haben. Auf Basis historischer Daten können sogenannte prädiktive Analysen Voraussagen über zukünftige Sortimente treffen. Typische KI-Methoden sind die Erkennung von Mustern, die Klassifizierung und Gruppierung und schließlich die Prognose. Die ki-unterstütze Sortimentsgestaltung ist für KMU nur bedingt anwendbar, da hierfür große Datenmengen notwendig sind. Großhandelsplattformen wie zentrada setzen im großen Stil selbstlernende Algorithmen ein und stellen allen Einzelhändlern intelligente Sortimentsanalysen bereit.
KI-gestütztes Bestandsmanagement
Computer können monotone Aufgaben schnell und zuverlässig erledigen, davon gibt es im Einzelhandel eine ganze Menge. Die Produktverfügbarkeit im Geschäft bzw. in den Filialen muss permanent überwacht werden um zu gewährleisten, dass die Regale zu jeder Zeit gut gefüllt sind und Kunden das gewünschte Produkt permanent kaufen können. Saisonale Schwankungen müssen ebenso antizipiert und ausgeglichen werden, genauso wie einmalige Ereignisse. Eine Fußball Weltmeisterschaft oder ein anderes Großereignis erfordern spezifische Anpassungen im Bestandsmanagement. Dazu gehört auch die Platzierung der Produkte im Geschäft und die Planung des Kundenstroms im Laden. Auch hier gilt die Regel, dass mehr Daten bessere Ergebnisse versprechen und KMU oft das Nachsehen haben. Künstliche Intelligenz sorgt mit Prognosen über zu erwartende Verkaufsmengen und zu allgemeinen Konsumtrends dafür, dass Produkte zur richtigen Zeit am passenden Ort liegen.
Dynamische Preisoptimierung
Tools für die dynamische Preisoptimierung ermöglichen es, Preise vollautomatisch und in Echtzeit an das aktuelle Verhalten der Kundschaft anzupassen. Berücksichtigt werden Daten, die die dynamischen Markt-, Umwelt- und Wettbewerbssituationen widerspiegeln. Der Onlinehandel insbesondere auf großen Marktplätzen macht dies schon seit vielen Jahren, auf der Plattform Amazon sind sogenannte Repricing-Tools weit verbreitet. Im stationären Handel ist die Preisauszeichnung in der Regel weniger flexibel, dennoch kann auch der Einzelhändler dieses Instrument gewinnbringend einsetzen. Relevant für die Preisoptimierung sind Kundendaten die das Kaufverhalten identifizieren, Daten zur aktuellen wirtschaftlichen Situation, zum Wetter und anderen Trends, die potentiell einen Einfluss haben können. Konkurrenzpreise und die Verfügbarkeit von Waren bei anderen Händlern gehören zu den wichtigsten Kriterien der Online-Repricing-Tools.
Anwendungen von Künstlicher Intelligenz im Einzelhandel
Einen sehr umfassenden und aktuellen Einblick in den Stand der Entwicklung hat das „Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz“ unter dem Titel „Anwendungen von Künstlicher Intelligenz im Einzelhandel“ veröffentlicht. Hier werden vier Hauptbereiche unterschieden: Zentrale und Filiale, Logistik/Transport und schließlich die Kundenerfahrung. Vorteil dieser Übersicht ist, dass wirklich sehr umfassend alle Bereich genannt werden, die Einfluss auf der Einzelhandel haben und mit KI-Tools optimiert werden können. Allerdings sind solche Dinge wie die Personaleinsatzplanung und die Tourenplanung in der Logistik branchenübergreifende Themen und im Einzelhandel nicht mehr oder weniger relevant als in anderen Bereichen.
Interaktiver Spiegel und digitale Umkleidekabine
Eine besonders smarte Idee ist die digitale Umkleidekabine, die sogar im stationären Einzelhandel das Einkauferlebnis verbessern und gleichzeitig Mitarbeiter entlasten kann. Kernstück ist ein interaktiver Spiegel mit Selfie-Funktion, der auf Basis ausgewählter Styles wie klassisch oder extravagant entsprechende Outfits zusammenstellt. H&M in New York hat so einen smart mirror bereits im Einsatz, die Steuerung erfolgt nicht per Touchscreen sondern über Stimme und Gesichtserkennung. Eine digitale Umkleidekabine gibt Produktvorschläge und zeigt Kombinationsmöglichkeiten, schlägt weitere Accessoires vor und generiert beliebige 3D Umgebungen zu den Kleidungsstücken von der Hochzeitsfeier bis zum Sandstrand in der Karibik. Aktuell werden dazu noch Daten aus einer Datenbank abgerufen, künftige Versionen dieser Technologie werden mit Lernmechanismen und personalisierten Empfehlungen arbeiten. Im stationären Handel ist das Smartphone die Verbindung zur digitalen Umkleidekabine und dient als Warenkorb, der dann an ein Terminal im Geschäft für den Self-Check-Out übergeben wird. Diese Technologie ist anwendbar für KMU und den stationären Einzelhandel. Sie kann den Einkauf von Mode für eine junge Zielgruppe wieder zu einem digitalen Erlebnis machen und eine echte Alternative zum Online-Handel werden.
Der OTTO Fit Finder als nachhaltige Leuchtturmanwendung
Kleidergrößen sind im Onlinehandel eines der größten Probleme und verursachen einen Großteil der Retouren. Um Kunden die Auswahl der passenden Kleidergröße im Onlineshop zu erleichtern, nutzt OTTO ein neues Tool namens Fit Finder. Das KI System nutzt einen Machine Learning-Algorithmus, der Angaben zu Größe, Gewicht, Alter und gewünschter Passform sammelt und diese mit Daten zu Bestellungen und Retouren von über 20 Millionen Artikeln kombiniert. Der Algorithmus erstellt aus diesen Angaben individuelle Größenempfehlungen, die zum einen eine Verbesserung des Service für Kunden bedeuten und zusätzlich zu einer signifikanten Reduzierung von Retouren führt. An diesem Beispiel kann man gut sehen, welche intelligenten Problemlösungen durch die KI möglich sind, wenn man dringende Problem analysiert und deren Lösung konsequent zu Ende denkt.
Hemmschuh für die KI ist die Datenschutz-Grundverordnung
Fast alle Anwendungen der KI im Einzelhandel basieren letztlich auf der massenhaften Verwertung personenbezogener Kundendaten. KI-gestützes Marketing und smarte Werbung arbeitet mit der Individualisierung von Kunden zur Auswertung des konkreten Nutzungsverhaltens. Das ist zwangsläufig mit dem Erstellen von individuellen Nutzerprofilen verbunden, weil ohne diese Daten eine optimierte und nur für einen einzelnen Kunden ausgespielte Werbung nicht möglich wäre. Die jeweiligen datenschutzrechtlichen Anforderungen stehen dem jedoch entgegen, die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) definiert dafür sehr strenge Regeln. Datenschutzbeauftragte müssen den grundsätzlichen Umgang mit Kundendaten im Einzelhandel vorab regeln. KI-Methoden erfordern eine Klärung der rechtlichen Aspekte und die Berücksichtigung des individuellen Datenschutzes.
Dem Smartphone am POS kommt eine immer größere Bedeutung zu, die Integration in den Verkaufsprozess erhöht den Gaming-Faktor beim Einkauf im Laden!
KI-Anwendungen werden den stationären Einzelhandel gehörig umkrempeln und den technologischen Abstand zum Online Handel deutlich verringern.