Die Bedeutung der Digitalisierung im stationären Einzelhandel

Nach einem schweren Jahr 2020 für den stationären Handel sehen die Aussichten für 2021 deutlich besser aus. Langfristig muss der stationäre Handel entlang der Customer Journey aber neue Konzepte finden, um eine hohe Relevanz bei den Kunden zu behalten. Zu den wichtigsten Stichworten gehören die Online-Sichtbarkeit, Omnichannel-Angebote, digitale Kundenerfahrung im lokalen Geschäft und eine digitale Kundenbindung.

Alles wird digital, auch das Einkaufen im Laden um die Ecke. Letztendlich geht es dabei um den Kunden und dessen Erwartungen an den Shop 4.0 und das Einkaufserlebnis der Zukunft.

Inhaltsverzeichnis

  • Online-Sichtbarkeit oder die hohe Kunst der digitalen Kundenerreichung
  • Omnichannel oder die Kunst, Kunden digital in den Laden zu locken
  • Digitale Kundenerfahrung im Laden oder die digitale Kunst am Point of Sale
  • Kundenbindung digital oder die Kunst, mit Kunden im Kontakt zu bleiben

Wer sich als stationärer Händler ein zweites Standbein im Online-Handel aufgebaut hatte, konnte die Umsatzverluste der Corona-Pandemie zumindest teilweise kompensieren. Viele sind erst während der Lockdowns auf den bereits fahrenden Zug aufgesprungen und haben zumindest das schlimmste verhindern können. Aber es geht nicht um eine Transformation von stationär zu online, lokale Geschäfte sollen nicht zu Online-Shops umgewandelt werden. Ganz im Gegenteil, sie sollen eine sinnvolle und attraktive Alternative zum Online-Handel werden. Und genau dabei muss die Digitalisierung unterstützen, aber wie?

Wie eingangs bereits erwähnt macht es Sinn, die digitalen Möglichkeiten vom Kunden aus entlang dessen Customer Journey zu betrachten und in vier Bereiche aufzuteilen. Alles beginnt mit einer guten Online-Sichtbarkeit, damit Kunden zuerst auf unseren Laden und unser Angebobt aufmerksam werden. Mit cleveren Omnichannel-Angeboten ziehen wir die Schlinge dann langsam enger, Ziel ist es natürlich, den Kunden in den Laden zu bekommen. Hier greift der nächste Punkt der neuen strategischen Kette, die digitale Kundenerfahrung im lokalen Geschäft. Hier entfalten selbst kleine kleine Dinge manchmal schon eine große Wirkung. Nach dem Kauf ist vor dem Kauf, das galt immer schon, aber künftig schlägt eine digitale Kundenbindung die Brücke vom After-Sales-Service zum nächsten Kauf.

Natürlich ist es schwer, hier Allgemeingültiges zu sagen, denn jeder Laden und jedes Sortiment ist anders, jede Ware hat andere Möglichkeiten und Beschränkungen. Was für den Textileinzelhandel gilt kann im Buchhandel völlig wertlos sein, ein Schreibwarengeschäft und ein Juwelierladen unterscheiden sich mindestens genauso stark. In diesem Artikel geht es daher eher um Beispiele, die vielleicht zu Anregungen werden können, etwas Ähnliches auszuprobieren.

Online-Sichtbarkeit oder die hohe Kunst der digitalen Kundenerreichung

Früher wurde die Sichtbarkeit eines Ladens allein durch dessen Lage bestimmt, sie ist immer noch das wichtigste Kriterium bei der Suche des Ladenlokals, das sich dann auch direkt in der Ladenmiete wiederfindet. Im Endeffekt geht es darum, die Kundenfrequenz möglichst hochzuhalten. Lokale Geschäfte sollten künftig Angebote und Präsenz immer stärker auf digitalen Kanälen sichtbar machen, dies gilt umso mehr, je schlechter die Lage ist um umso dünner die Laufkundschaft.

Natürlich sind Webshops oder gar Shopping-Apps die Königsklasse dieser Disziplin, aber für viele Läden nur schwer umsetzbar und außerdem sehr kompliziert und teuer. Stationäre Geschäfte sollten aber unbedingt über eine Online-Präsenz verfügen, also Informationen zum lokalen Geschäft auf einer Website bereitstellen, im Idealfall sind dort wenigstens Teile des Sortimentes als Appetithappen sichtbar. Die Website ist eine gute Möglichkeit, Kunden über Omnichannel-Features und Services am Standort zu informieren. Google My Business ist eine kostenlose Möglichkeit, innerhalb von Google Maps und anderen digitalen Karten-Diensten auf den Standort des Geschäftes hinzuweisen und kostenlose Klicks auf die Website zu erhalten.

Wer die nächste Hürde schafft und das eigene Sortiment sowie aktuelle Warenbestände in einem digitalen Katalog abbilden kann, bekommt eine breite Palette weiterer Möglichkeiten. Google Local Inventory Ads funktionieren wie ein Schaufenster aus der analogen Welt, das von Google erzeugte digitale Schaufenster verknüpft die Möglichkeiten digitaler Warenpräsentation mit Daten zum Standort. Der nächstgelegene Einzelhändler, der dieses Format nutzt, kann dem Kunden neben dem Sortiment auch die Verfügbarkeit und Öffnungszeiten seines Standortes anzuzeigen. In der Oberliga des Einzelhandels können sich Kunden zusätzlich auf der Website des Einzelhändlers einloggen, Produkte oder Produktgruppen werden dann in einem persönlichen Profil gespeichert und beim nächsten Besuch kann das Angebot aufgrund der Historie schon kundenindividuell angepasst werden: Der Buchhändler zeigt dem Krimi-Fan die neuesten Kriminalromane an, die Tierhandlung bietet dem Hundebesitzer das richtige Futter und Spielzeug an.

Google Local Inventory Ads verknüpfen das Handy als digitales Schaufenster direkt mit ihrem Laden

Omnichannel oder die Kunst, Kunden digital in den Laden zu locken

Die Omnichannel-Strategie – hieß bis vor kurzem übrigens noch Multichannel-Shopping – hat sich ein umfassendes Kundenerlebnis über alle Werbe- und Verkaufsplattformen zum Ziel gesetzt. Was in der Praxis des Einzelhandels nichts anderes bedeutet, als dass alle zur Verfügung stehenden Kanäle verwendet und miteinander verknüpft werden. Also das Beste aus online und offline in allen sinnvollen Kombinationen. In einer perfekten Welt können sich Kunden online über ein Produkt informieren, suchen dann über eine App das nächste Geschäft und vereinbaren online einen Termin mit einem Mitarbeiter für die persönliche Beratung. Klingt gut, ist es auch, in der Praxis aber vorerst nur in der Oberliga des Einzelhandels umsetzbar.

Die meisten Einzelhändler werden erstmal kleinere Brötchen backen müssen und können sich an folgenden Szenarien orientieren: Click & Collect bedeutet, dass ich Waren online bestelle und dann später im Laden abhole. Klingt einfach, in der praktischen Umsetzung lauern einige Tücken, hat man diese aber in den Griff bekommen, bietet man Kunden ein tolles Einkaufserlebnis mit persönlichem Kontakt. Bei Click & Collect wird online bezahlt, im Laden wird nur noch die Ware übergeben – das Erlebnis des Kunden kann damit in den Vordergrund gestellt werden.

Click & Collect ist das am weitesten verbreitete und beliebteste Multichannel-Modell

Nicht allzu weit weit entfernt davon ist ein Modell ohne klingenden Namen, das online und offline etwas anders verknüpft und sich besonders gut für den textilen Einzelhandel oder auch für Schuhgeschäfte eignet. Der Kunde wählt online aus, prüft dann die Verfügbarkeit von Material, Farbe und Größe im lokalen Handel und reserviert das Gewünschte online. Prüfung und Anprobe erfolgen dann natürlich vor Ort, der anschließende Kauf unterscheidet sich nicht mehr vom klassischen Shopping im Laden. Zu einer vollständigen Omnichannel-Strategie gehört natürlich auch die komplette digitale Kette (online bestellen und liefern lassen) sowie das Pendant aus der analogen Welt (einfach in den Laden gehen, einkaufen und mitnehmen).

Digitale Kundenerfahrung im Laden oder die digitale Kunst am POS

Die digitale Unterstützung des Kunden im stationären Handel dreht sich immer um Information und Unterhaltung, idealerweise wird beides geschickt kombiniert und inspiriert Kunden zum Kauf. Fangen wir ganz einfach an: Das Entertainment über digitale Präsentation ist nicht ganz neu und beginnt mit dem einfachen Werbefilm – heute bevorzugt auf mehreren Monitoren. Einen entscheidenden Schritt weiter geht das Entertainment über digitale Interaktion, wenn Kunden also selbst auswählen können und eingreifen müssen. Hier sind Einzelhändler auf die Mithilfe der großen Marken angewiesen, die digitale Displays, VR-Headsets und digitale Spiegel immer stärker für sich entdecken.

In größeren Geschäften oder Kaufhäusern verlieren Kunden schnell die Orientierung und den Fokus. Hier helfen digitale und interaktive Displays den schnellsten Weg zum Produkt oder zum Verkaufsberater zu finden. Solange unsere Smartphones die Indoor-Navigation noch nicht beherrschen, können Händler die Bewegung der Kunden in den Verkaufsflächen z.B. mit der Navigation über digitale Displays selbst gestalten.

Gerne genannt in diesem Zusammenhang werden digitale Assistenten und interaktive Displays für Produktinformation und zur Selbstbedienung, allerdings ist hier wirklich Vorsicht geboten! Einerseits kann man die meisten davon auch bequem auf der heimischen Couch nutzen, andererseits beraubt sich der stationäre Handel selbst seines größten Vorteils: Individuelle Begegnung, Produktkompetenz und persönliche Beratung sollten im Digitalisierungs-Hype nicht vergessen werden. Digitale Assistenten am Point of Sale sind gut und nützlich, müssen aber in ein stimmiges Konzept vor Ort passen.

Digitale Verkaufsberater im Laden sind die neue Form der Verkaufsförderung

Ohne jede Einschränkung kann der letzte Punkt empfohlen werden: Die digitale Kasse! Modernes und kontaktloses Bezahlen entwickelt sich in rasantem Tempo, Smartphones und Smartwatches schicken die klassische Geldbörse endgültig in den Ruhestand und verhindert Warteschlangen, darauf darf heute kein moderner Laden mehr verzichten. Die Standards entwickeln sich aktuell noch, weswegen wir hier keine konkreten Beispiele nennen möchten. Bleiben Sie als stationärer Einzelhändler hier aber am Ball, nirgendwo anders ist die Digitalisierung im Einzelhandel wichtiger und sichtbarer als an der Kasse. Oder wollen Sie den Kunden eine Apple Watch an der Kasse wirklich noch bar bezahlen lassen?

Zum Pflichtprogramm in vielen Branchen gehört es, die Verkaufsmitarbeiter mit mobilen Endgeräten zu unterstützen. Natürlich sollte die gesamte Ladenlogistik nach und nach digitalisiert werden, RFID-Etiketten können in Echtzeit darüber informieren, welche Waren sich gerade wo befinden und Verkaufsberater entlasten. Wer Daten verwaltet, muss diese natürlich gegen Fremdzugriff schützen, das Vertrauen der Kunden ist ein flüchtiges Gut. Last not least gilt es, vorhandene Daten konsequent zu analysieren, denn nur die konsequente Auswertung aller relevanten Daten und die Umsetzung der dabei gewonnenen Erkenntnisse rechtfertigen den nicht unerheblichen Aufwand.

Kundenbindung digital oder die Kunst, mit Kunden im Kontakt zu bleiben

Auch hier reicht das Format unseres Blogs wieder nur für Stichpunkte und ein paar Anregungen, weil die Möglichkeiten fast unendlich sind und täglich erweitert werden. Der gute alte Newsletter als Dinosaurier der digitalen Kommunikation ist gerade für stationäre Einzelhändler eine gute Möglichkeit, mit dem Kunden in Kontakt zu bleiben. Der Erfolg des Mediums hängt letztlich davon ab, wie viele Adressen (und Zustimmung zum Erhalt elektronischer Post) die Händler sammeln können. Der beste Zeitpunkt, die Registrierung zum Newsletter anzubieten, ist das Ende des Bezahlvorgangs. Viele Kunden werden das als After-Sales-Service gerne in Anspruch nehmen und mit dem Laden in Kontakt bleiben wollen. Falls der Newsletter nicht gewünscht ist, kann ein Kunde auch dazu animiert werden, sich über soziale Netzwerke mit dem Geschäft zu verknüpfen.

Kundenbindungsprogramme ersetzen die alte Kundenkarte und werden immer beliebter

Digitale Kundenkarten und Treueprogramme bieten nicht nur einen zusätzlichen Anreiz für den Kunden, digitale Kundenbindungsprogramme liefern auch wertvolle Daten zu den Einkaufsgewohnheiten Ihrer Kunden, auf die Sie dann vielleicht besser eingehen können. Aus der physischen Kundenkarte könnte über kurz oder lang eine App entstehen, die diese Funktion mit anderen Benefits verknüpft. Große Ketten wie Conrad und Hugendubel machen es heute schon, morgen werden die Entwicklungskosten für Apps weiter sinken und die Möglichkeiten kleiner und mittelgroßer Händler erweitern.

Noch ist der stationäre Handel eher zögerlich in Sachen Digitalisierung unterwegs, wer als Einzelhändler langfristig überleben und wachsen möchte, muss sich Gedanken machen, wie das Geschäft gegenüber den Kunden von morgen sichtbar, relevant und attraktiv bleibt. Übrigens zeigt ausgerechnet die Corona-Pandemie wenigstens hier auch mal eine freundliche Seite: Die Überbrückungshilfe III bezuschusst Investitionen in die Digitalisierung mit bis zu 20.000 €, das Investitionsprogramm DIGITAL JETZT der Bundesregierung fördert KMU, die in digitale Infrastruktur und die Weiterbildung ihrer Mitarbeiter investieren mit bis zu 50.000 € pro Unternehmen.